Darf ich auf eine Party gehen? Darf ich lachen und Humor haben? Darf ich Lust auf Nähe, Zärtlichkeit und Sex haben? Und trotzdem trauern? Zwar wird heute keine schwarze Kleidung mehr erwartet, aber unterschwellig wirken die althergebrachten Normen trotzdem noch. Im geschützten Gespräch kommt oft raus, dass nach der ersten Schockstarre diese Momente der Freude, Geborgenheit, Sicherheit oder Ablenkung guttun – seien sie auch noch so klein. Leider trauen sich viele nicht, angenehme Gefühle zuzulassen. Manche befürchten, von ihrem Umfeld verurteilt zu werden, oder bekommen unterstellt, die Trauer zu verdrängen.

Das Gefühl, dem Partner ganz nahe zu sein, und das Grübeln mal kurz zu unterbrechen, lässt uns spüren, dass es neben aller Trauer auch noch schöne Dinge im Leben gibt. Die Nähe zueinander und das Gefühl der Liebe füreinander können den Schmerz vorübergehend überlagern.

Besonders Frauen wünschen sich eine Zeitlang, nur Zärtlichkeiten auszutauschen, in den Arm genommen zu werden, sich gegenseitig zu streicheln, alles, nur keinen Sex. Besonders Männer empfinden dagegen nur beim Geschlechtsverkehr wirkliche Nähe und tiefe Gefühle. Die Palette der Sinnlichkeit ist eben breit.

Sexualität und Nähe sind biologische Grundbedürfnisse. Bei einem Organismus öffnest du dich deinem Partner total. Möglicherweise spürst du dadurch den Schmerz über deinen Verlust noch stärker. Ein Orgasmus, wenn auch durch Selbstbefriedigung, kann aber auch den Atem wieder fließen lassen, den ganzen Körper entspannen und so dazu beitragen, dass du dich wohler fühlst.

Manche Männer oder Frauen lehnen Sexualität erstmal grundsätzlich ab. Schließlich hat damit das ganze Leid angefangen. Oder sie befürchten, schwanger zu werden und das Kind wieder zu verlieren. Manchmal wird Sexualität auch tatsächlich dazu missbraucht, sich der Trauer nicht stellen zu müssen. Ein Versuch, einfach zur Tagesordnung überzugehen, als ob nichts passiert wäre.

Oft hindern Schuldgefühle Trauernde daran, sich gegenseitig zu genießen. Oder Trauernde empfinden positive, angenehme Gefühle wie Lust als unpassend empfunden und unterdrücken sie deshalb. Manchmal spüren sie auch, innerlich wie abgestorben zu sein.

Vorübergehende sexuelle Unlust bei Mann und Frau ist normal. Jetzt ist es wichtig, dass ihr über eure Ängste und Gefühle miteinander sprecht, damit ihr die Reaktionen des anderen nicht missversteht. Mit Geduld, Toleranz und Verständnis lösen sich die Probleme mit fortschreitender Bewältigung wieder auf.

Wenn es euch hilft, den eigenen Wänden zu entfliehen, um euch Zeit füreinander zu nehmen – tut es! Wenn eure Probleme sich überhaupt nicht bessern, vielleicht sogar schlimmer werden, sucht euch Hilfe!

Ihr könnt euch fragen:

• Was sind meine Bedürfnisse in Bezug auf Nähe, Sinnlichkeit und Sexualität?
• Was würde mir guttun?
• Was möchte ich momentan nicht?
• Gestatte ich mir Lustgefühle oder meine ich, dass diese nicht sein dürfen?
• Habe ich Angst vor Sexualität, weil diese theoretisch wieder zu Schwangerschaft und Verlust führen könnte?
• Kann ich mit meinem Partner / meiner Partnerin offen über meine Gefühle, meine Wünsche und das, was zurzeit hindert und nicht geht, sprechen?
• Wenn wir bis jetzt nicht miteinander reden konnten, will ich es jetzt versuchen oder lieber einen Brief schreiben?
• Wie wirkt sich aus, dass wir nicht miteinander schlafen können?
• Was kann ich tun, um Spannungen in mir abzubauen?
• Mit wem möchte ich über meine Beziehungskrise sprechen? Wer könnte helfen?
• Sind unsere Schwierigkeiten gegebenenfalls so stark, dass wir professionelle Hilfe brauchen?
• Glauben wir, unsere momentanen Schwierigkeiten allein überwinden zu können, oder brauchen wir Hilfe?
• Wie wollen wir es gegebenenfalls angehen, Hilfe zu finden?